Wenn Wissenschaft und Kulinarik sich vereinen
Languste mit weißer Knoblauchcrème und Blaubeeren. Auberginen-Burger mit Kaffee-Tamarinden-Soße und Erbsen-Minze-Pesto. Makrele mit Kirsche und Apfel. Rindersteak mit weißer Schokoladen-Béarnaise. Schokoladenparfait mit Himbeeren, roter Bete und schwarzen Oliven. Geschmackliche No-Gos? Ganz im Gegenteil! Hinter derart wilden Liaisons vermeintlich nicht zusammenpassender Zutaten steckt sogar wissenschaftliche Methodik. Dass Essen gar nicht mal so wenig mit Chemie (und Physik) zu tun hat, wissen wir spätestens seit der sogenannten "Molekularküche" und Köchen wie dem Spanier Ferran Adrià, dem Briten Heston Blumenthal oder dem Dänen René Redzepi. Blumenthal war denn auch derjenige, der erstmals um des geschmackskompositorischen Willens in den 90er-Jahren gemeinsam mit dem Schweizer Aromachemiker François Benzi der detaillierten Zusammensetzung einzelner Zutaten ganz analytisch auf den Grund ging. Und so im Nachhinein die wissenschaftliche Erklärung dafür fand, warum seine Kombination aus Kaviar mit weißer Schokolade ein geschmacklicher Hit ist.
Gleich und gleich ...
Eigentlich ist es ganz einfach: Was gemeinsame Hauptaromakomponenten hat, kann prinzipiell gut miteinander kombiniert werden. Oder anders gesagt: Die Chemie muss auch beim Essen stimmen. Genau da setzte 2005 auch der belgische Bio-Ingenieur und Essensliebhaber Bernard Lahousse an – und gemeinsam mit seinem Landsmann und Michelin Sterne-dekorierten Spitzenkoch Sang-Hoon Degeimbre die von Blumenthal und Benzi begonnene Vorgehensweise beim Foodpairing fort. Das erste kulinarische Ergebnis war "Kiwître" – Austern mit Kiwi. Die passen erstaunlicherweise unter anderem deshalb so gut zusammen, weil beide Zitrusaromen beinhalten. Mit seinen Ex-Kollegen Peter Coucquyt (ebenfalls Michelin-prämierter Profikoch) und Johan Langenbick (Ingenieur für Industriedesign) gründete Lahousse dann 2009 die Firma Foodpairing®. Der Name ist Programm. Bisher wurden hier im Namen der lukullischen Pärchenbildung schon über 2500 Zutaten analysiert und in einer Datenbank erfasst sowie zig raffinierteste Rezepte ausgetüftelt.
Die Nase isst mit
Generell ganz wichtig für das vollendete Geschmackserlebnis ist – die Nase. Das geht beim Foodpairing soweit, dass Menschen mit sehr feinen Nasen gewisse Aromanuancen schlichtweg "erriechen"; und so auf gewagte, aber gustatorisch sehr wohl harmonierende Kombinationen kommen. Wie im Fall von François Benzi, der im Duft von Jasminblüten Anklänge von Leber erschnupperte und daraufhin beides einfach mal – wie sich herausstelle erfolgreich, sprich lecker – auf dem Essteller kombinierte. Denn der reine Geschmack ist beim Essen und Trinken nicht mal die halbe Miete. "Unsere Wahrnehmung von 'Geschmack' hat in der Tat viel mehr mit den Aromen zu tun, die wir riechen als mit dem, was wir schmecken. Das Wort 'Geschmack' bezieht sich nur auf das, was wir als bitter, süß, salzig, sauer und umami kennen", erklärt Lahousse. Und fährt fort: "Ob man es glaubt oder nicht, aber 80% unserer Geschmackserlebnisse werden tatsächlich von unserem Geruchssinn bestimmt. Was erklärt, warum wohlschmeckende Zutatenpaare die mit starken aromatischen Übereinstimmungen sind." Und was auch erklärt, warum Kaffee, dessen Bohnen beim Rösten bis zu 1000 Aromen bilden, mit schnupfenverstopfter Nase einfach nicht schmeckt.
Studieren und Probieren
Nun können wir im Alltag natürlich nicht erst molekulare Zusammensetzungen einzelner Zutaten mithilfe von Gaschromatographie und Massenspektrometer analysieren und dann einzelne Aromaprofile erstellen, wenn wir in der Küche mal was ganz Neues und Außergewöhnliches kreieren wollen. Aber einen Blick in die Foodpairing®-Datenbank werfen. Die ist nämlich nicht nur Profiköchen vorbehalten. Im Foodpairing® Blog findet man sogar ganz konkrete Rezepte zum Nachkochen. Oder man verlässt sich, frei nach dem Motto "Für neue kulinarische Kombinationen, immer der Nase nach", einfach mal ganz auf seinen Geruchssinn – und die eigene kulinarische Intuition (so machen es auch viele Profis nach wie vor). Kommt am Ende dann doch nicht DIE lukullische Paarung dabei heraus, einfach an die Worte von Foodpairing-Pionier Heston Blumenthal denken: "Das molekulare Profil einer einzigen Zutat ist so komplex, dass selbst wenn sie mehrere Verbindungen mit einer anderen gemeinsam hat, es immer noch genauso viele Gründe gibt, warum sie nicht zusammen funktionieren wie Gründe, warum sie es tun." Vom Experimentieren mit der Pärchenbildung auf dem Teller sollte das einen aber nicht abhalten – ganz im Gegenteil.