Symbolträchtiges Kult(ur)gebäck mit Geschichte
Er symbolisiert Weihnachten wie kein anderes Gebäck: der Stollen. Längst ist er weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt und beliebt. Und auch wenn keine andere deutsche Stadt so sehr mit ihm verbandelt ist wie Dresden, steht er jetzt auch in den Backstuben im Westen der Republik wieder auf dem Tagesprogramm. Genauso wie im Norden und im Süden. So finden mittlerweile auch alljährlich von Sachsen bis an die belgische Grenze und von Hamburg bis München Stollenprüfungen statt. Klingt nach strengem Verfahren, ist aber vielmehr eine unterhaltsame Veranstaltung. Bei der Fachkundige (meist Mitglieder der Bäcker-Innungen) unter den Augen interessierter Zuschauer (die anschließend nicht selten selbst in den Probiergenuss der "Prüflinge" kommen) sowohl die äußeren als auch inneren Werte der (freiwillig) eingereichten Stollen eingehend begutachten. Dass die bestimmten Mindestanforderungen entsprechen, versteht sich dabei von selbst. Festgeschrieben sind diese Kriterien für Zutaten und Mengenverhältnisse in den "Leitsätzen für Feine Backwaren" im Deutschen Lebensmittelbuch; inklusive ganz spezifischer Angaben für Butterstollen, Mandelstollen, Marzipan-/Persipanstollen, Mohnstollen, Nussstollen und Quarkstollen.
Tradition trifft Moderne
Neben den Klassikern mit Marzipan, Orangeat, Zitronat und weihnachtlichen Gewürzen erobern heute aber auch immer unkonventionellere Stollenkreationen die Naschkatzenherzen. So kommt aus Lippstadt zum Beispiel Champagnerstollen und München lockt dieses Jahr unter anderem mit Exoten wie Piña-Colada- und Südseestollen. Eines haben dabei alle handgemachten Stollen gemeinsam: Sie kosten ein paar Euro. Weil neben echter Handwerkskunst (und zum Teil natürlich schon einem gewissen Markenimage) eben auch hochwertige Zutaten drinstecken. Wer selber Stollen backen möchte, ob klassisch oder kreativ ab- und umgewandelt, braucht vor allem richtig Kraft in den Händen (oder alternativ eine leistungsstarke Küchenmaschine; ich finde, darin darf man sich als Laie ruhig von den Profis unterscheiden) und viel Geduld. Denn ein richtiger Stollenteig will mehrfach gut durchgeknetet werden (was aufgrund seiner typischen Schwere für Mensch wie Maschine wirklich ein Kraftakt ist) und braucht wiederholt Ruhepausen zum Gehen.
Von der Fastenspeise zum international gefragten Edelgebäck
Seinen eigentlichen Ursprung hat das feine Weihnachtsbackwerk im 15. Jahrhundert; in einem mehr als bescheidenen Fastengebäck bestehend aus Hefe, Mehl und Wasser. Dass dann zunächst schon mal immerhin (reichlich) Butter – und damit überhaupt erst ein Geschmacksträger – hineinfand, ist den blaublütigen Genießern Ernst und Albrecht von Sachsen zu verdanken. Sie baten keinen Geringeren als den damals amtierenden Papst Innozenz VIII. darum, das von der katholischen Kirche während der Philippus-Fastenzeit vor Heiligabend geltende Butterverbot aufzuheben. Was der wiederum mit dem sogenannten "Butterbrief" 1491 tat. Soweit die Geschichte. Die aber Wieland Liebusch (ein gebürtiger Dresdner, der sich lange und intensiv mit der Historie des Stollens befasst hat) zufolge so wohl nicht ganz stimmt. Ob es zum Teil doch mehr eine schöne Legende ist, in besagtem Brief das Wort "Stollen" schon explizit stand, und wer nun genau wann exakt an die Feinschmeckerseele des Papstes appellierte, dürfte heutigen Stollenliebhabern allerdings recht egal sein. Und Dresden blickt mit dem zum Edelgebäck avancierten Striezel so oder so voller Stolz auf eine lange feinschmeckerische Erfolgsgeschichte zurück. Traditionell geht es in der sächsischen Landeshauptstadt jedes Jahr nach dem Reformationstag am 31. Oktober frisch ans Stollenwerk. Nach den altüberlieferten Rezepturen natürlich – wobei man aber in so ziemlich jeder der aktuell 125 Stollenbäckereien in und um Dresden ein eigenes kleines Stollengeheimnis hat, das dem Weihnachtsklassiker eine jeweils dezent individuelle Note verleiht. Vergangenes Jahr wurden davon rund 4 Millionen verkauft, wie man mir beim Schutzverband Dresdener Stollen sagte. Und zwar buchstäblich rund um den Globus, von Hawaii bis nach Neuseeland. EU-weit sind original Dresdner Christstollen seit 2010 per amtlichem Siegel übrigens herkunftsgeschützt.
Süße Symbolkraft
Ob heute beim Anblick und Duft eines mit Puderzucker überzogenen Stollens wirklich (noch) jemand an "das in weiße Windeln gewickelte Christkind" denkt (denn nichts anderes ist er laut einem vor knapp 80 Jahren über ihn erschienenen eigenen kleinen Büchlein von Lenelies Pause), sei dahingestellt. Jedenfalls symbolisiert er – ob nun in ganz klassischer oder ultramoderner Variante; original aus Dresden, vom Bäcker um die Ecke oder aus der eigenen Küche – ein im wahrsten Sinne des Wortes süßes Stück Weihnachtskult(ur). Apropos: Einem alten (und ich glaube regionalen) Brauch zufolge, soll man in der Vorweihnachtszeit 12 verschiedene Stollensorten essen, damit das nächste Jahr ein gutes wird. Na, dann mal ran jetzt! Und damit wünsche ich euch allen eine idyllische Vorweihnachtszeit, ein schönes und genussvolles Weihnachtsfest, ein paar entspannte Tage danach und dann einen grandiosen Rutsch ins neue Jahr!
Auch 2018 habe ich für euch an dieser Stelle wieder viele bunte Themen rund ums Essen und Genießen...